KLEINES FRÜHSTÜCK
(transl. Tobias Burghardt-Rüdiger Fischer, Verlag Im Wald, 2006)
ISBN 3-978-929208-89-4
www.verlagimwald.de

 

Die Leere ist ein mit Wörtern bemalter Stoff.
Die Wörter tönen die Leere, bedrucken sie wie Seide mit Farben und eleganten Figuren,
bedecken sie so und haften allmählich daran,
bis schließlich sie allein übrigbleiben und unzerstörbar sind.

Yukio Mishima

Eben weil wir sprechen, ist jedes Ding nicht, was es ist.
Das Symbol ist der Mörder des Dings.

Jacques Lacan

 

 

In meinen Augen kam
das Wort von weither.
Ich sah es als schon immer
gegeben an. Als Reiz.
In einem irgendwie
umgekehrten Vorgang
gab ich ihm als Gegenstück
eine Wirklichkeit, die aber,
je mehr sie berührt und erfaßt wurde,
sich umso gehaltloser
den fünf Sinnen entzog.
So wurde es ausgesprochen
und gegen einen Körper
geworfen, der durch
das Sagen plötzlich
wieder greifbar wurde.

 

 

MALARIA

 

Was ist mehr wert, der Name oder der Körper?
Lao Tse

Der höchste Grad der Gegenwart ist die Abwesenheit.
Walter Benjamin

 

„Es ist zu bequem,
zu tun, was einem gefällt
und was man tun will.“

Die Blechdose
ist rund und dreht sich,
ein Teil überm andern.
Man kann dran riechen,
wenn sie leer ist, dran lecken,
wenn die Lakritze alle ist.

Apfel Orange Pflaume
Apfel Orange Pflaume

... da springen sie
hervor, die Träume,
Kleider und Konturen
ungeheuer, verrückt:
vermengt, ein Puzzle
mit verstreuten Stücken
wie bunte Vögel
oder Fledermäuse,
die plötzlich auffliegen
vom tintenblauen Baum.

„Das muß eine Vereinbarung
der Großen sein,
aus Trotz oder Neid.“

Auf dem festen Turm
der uneinnehmbaren Burg,
von wo man alles Übrige
überschauen kann. Ein kleines,
aber sicheres Reich,
zumindest solange
die Tür verschlossen ist.

(Er prüft, schräg
auf dem Rand der Wanne
sitzend, entkleidet,
er untersucht im Spiegel
die Gestalt, forscht nach einem Grund
für soviel Verlangen.)

geh langsamer, stütze dich auf
wirf den Stein mit der Hand
bleib jetzt stehn oder geh weit weg

„Meine Mutter sagt, ich
kann alles ausziehn.“
„Meine, nicht mehr
als Hose und Unterhemd.“

(Sich sehen, gesehen
werden. Es entblößen.
Es halten, wenn es gehalten
werden soll. Aber ihm scheint,
da muß es doch noch
etwas anderes geben...)

Rot. Wie Fieber, wie
Blut. Mitten im Feuer.
Wie Fingernägel, Lippen.
Wie gottlose Leute.
Wie Mäntel, Fahnen.

Im U-Boot, „Ich“,
unterwegs auf den Meeren.
„Alle Mann unter Deck,
die Luken dicht.
Schnelles Untertauchen.“
Der enge Raum
der Schwall der Gerüche
der Schatten des Betts.

„...Herz und Tisch und Nest
Kobold, Last und Dach.“

Noch immer. Genau
der trockne Kinderreim
Wort für Wort.
Spiegel, Bildnis
Ähnlichkeit, Beweis
daß darunter das Ding ist:
was immer sein wird
und immer gewesen ist,
nicht wo und wie
es sein mag. Vorgeschrieben.

... im Buch der
Berühmten Bücher,
in der Enzyklopädie.

„...es hat die Farben
des Feuers, des Schnees
und der Wiese.“

„Los, bezahl das Pfand.
Sagen, tun oder küssen,
Brief oder Testament?“

(Nicht, daß er aufhören würde
es scheint ihm sogar schöner
als er es noch einmal macht.
Er vermutet jedoch
daß es eben deshalb
so schmächtig bleibt.)

„Je schneller du machst,
umso schöner, du wirst sehn.“

...daß ein Wort
ein Geschlecht hat und
eine Person (männlich
und endet auf a!). Aber
noch unverständlicher
der Zustand des Mangels
der Abwesenheit, letztendlich
die in einem unfaßbaren, nicht
einmal zurückgewiesenen Begriff
vom Nichts negierte Erscheinung
und die Verblüffung
wenn er ausgesprochen wird.

„Wo ist deins?
Woraus ist es gemacht?“

(Ihm allein das Gefallen daran
genommen zu werden. Und
der Gedanke, daß das
ungerecht und ungünstig ist,
und nicht für sie im Grund
wenn sie keins hat.)

„Du wirst das lernen,
wenn du groß bist.“

Heimlich angeschaut und
gesagt, im Dunkel
Flüstern, ungewiß
die Ränder, nie genaue
Hinweise auf empfangene
Signale, in Eile entrissen
ungestüm, silbenweise
aus Angst davor
entdeckt zu werden
noch vor dem Entdecken von
ein paar Quadratzentimetern
Spalt und Flaum.

ein schwarzer, schauriger Frosch
schlich spät durch den Schlamm

Angst davor, Glas könnte zerbrechen
Salz verschüttet werden
oder kochendes Wasser
eine Zigeunerin ins Haus kommen
die Ölflasche auf den Boden fallen
die Gesundheit ruiniert werden.
Angst davor, im Finstern zu sein
im Haus einen Mörder zu finden
ein Auge ausgestochen zu bekommen
sitzenzubleiben
in einen Abgrund zu fallen
in einem See zu ertrinken
zerquetscht zu werden.

„...du hast es gesagt.
Schon daß du es gedacht hast.
Daß es nicht gewesen ist,
zählt jetzt nicht mehr.“

„Einverstanden?
Los, reden wir Böses.“
„Wir müssen lauter
schlimme Wörter sagen.“

Im Wörterbuch gesucht
und ausgesprochen.
So eingestanden oder
nicht ganz unbekannt.
Die anderen, formlosere
und graue Synonyme,
zumindest registriert.

„So legen sie sich hin,
eins aufs andre.“

(Ausgestreckt im Bett,
für die x-te Generalprobe,
mit dem Kissen.
Fieberhaft, keuchend
es küssend, umarmt.)

Vor dem Spiegel
im Vergleich mit einem andern,
kleinen, das auf und nieder
geht, und prüfen
welche Wirkung eine
verschiedene Blickrichtung hat.

„Mit bestimmten Nichtsnutzen
sollst du nicht zusammensein.“

Daß das wirklich
die Falle ist, um dich
in Versuchung zu bringen
in die du stürzen kannst
um dann, im Netz gefangen
für immer verdammt zu sein
unter Heulen und Zähneknirschen
im See, in der Grube
mitten im Feuer.

„Was man gebeichtet hat
ist einem genommen. Und du bleibst frei,
wenn du losgesprochen wurdest.“

(Ihn quält auf einmal
der schreckliche Gedanke
daß er überhaupt nicht
dem Muster an Reinheit entspricht
an das sie ihn gewöhnt haben.)

...daß ein Fluch
aus seinem Mund kommt
ohne daß er es will, daß
er in seinem Kopf entsteht
von etwas ausgelöst
daß er nicht kontrolliert.

Aber ja, er war da
an den sieben ersten Freitagen
des Monats, Gebete
und Litaneien jeden Abend,
was auch immer er getan hat
und weiterhin tut
er ist gewiß gerettet.

„Einstweilen sieht Gott
dich überall.“

(Er starrt dorthin, ohne
es zu wissen. Instinktiv
wird er angelockt, seine Hand
inzwischen gelenkt
zu dieser Wölbung
ohne Halt.)

„Ich sags deiner Mutter
daß du mich berührst.“

...es soll geschehen,
gleichviel wie,
es verschwinde endlich
jede Zurückhaltung
und es soll weitergehn
koste es, was es wolle.
Obwohl das auch
Ekel erregt
das Blut, der Gestank
der Schweiß.

„Auch ihr gefällt das,
laß dir nichts vormachen.“

In Eile zu vollziehen
im Dunkel, im
verschlossenen Zimmer,
ohne einander zu sehn
oder zu hören,  im Verborgnen
verstohlen, zu jemandes
Nachteil, wie eine Kränkung
ein Risiko, mehr noch die Scham
so gut es geht, der Anordnung
zuwiderzuhandeln.

...und es ist, es erweist sich als
unhaltbar
je mehr es gesagt
befohlen und gefordert wird
gegen das Stillhalten
das Taubsein
herrisch und dringend
ihres Namens.

Der von neuem wiederholt wird
für sich oder laut
in langen Reihen
in Hefte geschrieben
in Groß- oder Kleinbuchstaben
in Schräg- oder Druckschrift
mit dem griechischen Alphabet
in alter Schreibweise
gezeichnet, sogar
ziseliert. Immer dieser.

„Wenn du eine magst,
tust du ihr das nicht an.“

Sie sei verdammt, ja
und unrein und schmutzig
verdorben... aber dazu bestimmt
einen heftigen Durst
zu stillen, nach eben
diesem schmerzlich
verlangten Ding.

(Sein Traum ist
sich zu verlieren,
in die Hände einer Frau
ohne Skrupel zu fallen.)

„Sie lassen mit sich machen,
wonach dir zumute ist.“

Das ist zu buchstabieren, mit
anderem verbunden, an den
Rändern schiebend, fast
unhörbar, abgehackt
zwischen den Zähnen
wie unter dem Rock
das verzweifelte Hauchen
von... Hure.

 

 

WAR ES WIRKLICHER RUHM?


Die Form des Hauses ist die Bahn eines Schicksals. Bunker, Festung,
anständiges Labyrinth: typisch zugleich für Krieg und Königshof.
Gefangene und Gefängniswärter spähen durch die Schlitze nach der Welt
und stellen sie sich im Traum vor.

Unbekannter Verfasser

Die einzige Wahrheit, die die Leute akzeptieren, ist diejenige,
die ihnen dargeboten wird, nachdem sie sozusagen verdaut und zubereitet,
verkleinert und verziert worden ist.

Hermann Hesse

 

„Ach was... Sie geben
rein gar nichts.“

„...auch für heute
haben wirs wieder
geschafft. Gute Nacht.“

Ja, das prächtige Chrom
des Videos,
das süße In-den-Tag-Leben
beim Auswählen, Schlürfen, Kosten
der zarten Desserts.
Das Leben schon gewürzt
zu genießen,
so vorgekaut und verdaut.
Sich dem Spiel der Posen
hinzugeben, der sachlichen,
patinierten Bewegung
wo
nichts mehr wirklich existiert,
in einer Ferne
die die Zeit vertreibt
aber eben nur soviel
daß man es gerade noch spürt.
Die gleiche anfällige Phantasie,
außer sich, gehegt, wird
hypnotisiert, löst sich auf.
Sie hält das Wasser
nicht mehr zurück
es überflutet alles
ertränkt, verschlingt.

„In deinem Alter
hatte ich keine Zeit
mich zu langweilen.“

Das Wohnzimmer ist
im englischen Stil.
Überall Fransen
und Schleifen. Keramik
auf den Borden, Drucke
von Blumen und Schlössern.

(An sich mag er am meisten
die Hände.
Er schaut sie gerne an,
als sähe er sie sich gegenüber.
Herunterhängend, schlank,
wie die einer Frau.)

„Mit all deinen
sonderbaren Plänen...
Aber zieh nur an den Fäden
dessen, was du tun willst.“

Nicht weit vom Ufer
an der Wasseroberfläche
taucht es auf, taucht nicht auf
erscheint, erscheint nicht.
Es läßt uns im Zweifel,
ob es wirklich da
oder eine Täuschung ist
ein Alibi, ein Vorwand
der Rest einer nie in Gang
gekommenen Geschichte
der verfaulte Kern
einer Mißgeburt.

„Was ich auch sage
ich habe immer Unrecht...“

(Es wird wegen seinem skeptischen
unduldsamen Wesen sein,
seiner Faulheit und Leichtigkeit
einer herabsetzenden Schlauheit
womöglich nur aus Laune,
im übrigen edle Züge, Zeichen
von beschaulicher Offenheit,
aber er entzieht sich so weit
wie möglich dem Gebrauch von Wörtern
hängt seinen Gedanken nach
hinter dem Lichtkegel
und dem Rauch der andern.)

„...er ist mitten auf der Straße
vor seinem Haus ermordet worden
von zwei Jugendlichen, die
auf einem Motorrad geflohen sind.“

„So etwas Fürchterliches.
Was für eine Niedertracht.“
„So geht es jeden Tag.
Reich mir die Teller.“

„Hallo! Wer ist da? Er ist
nicht da. Er ist noch nicht zurück.“

(Er gibt sich den Anschein...
aber wenn er beim Essen ist
und es keine Todesfälle
Katastrophen und Unfälle gibt
ja, das gesteht er sich ein
dann mißfällt ihm das.)

„Was ist mit dem Geld?
Hast du gefragt? Geben sie’s dir?“

Der Tisch füllt
die Stube aus:
kaum ist Platz
für die Stühle.
Und einen Wagen
mit dem Fernseher.

„Wenn du sauer bist, schau,
du bist selber schuld.“

(Er stellt mit Freude fest
daß er immer noch ist
und sein wird, wer er war
immer derselbe: ein Kind
das mit den Füßen stampft
und schreit. „Das gilt nicht!“)

„Du glaubst das womöglich.
Aber dann... bereut man es.“

Die kurzen Schläge,
das gut hörbare Läuten
des Weckers
der den Ritus der Reinigung
unterstreicht, in der Ordnung
die die Türen umschließen
im Dunkel, im Vertraulichen.

„Aber ich bitte sie. Hallo.
Im Gegenteil... Nein, ich hab ihn erreicht.
Sie stören ganz und gar nicht.“

Das Gefallen am Ausbruch,
das Nachgeben, Sichgehenlassen
nachdem man ausgehalten hat,
als entkomme man sich selber.
Die feine Technik,
geradezu die Kunst
des Niesens...

(Die Kinder verdrießen
ihn ziemlich.
Er stellt sie sich immer
dreckig und stinkend vor,
kleine Ungeheuer, die alles
anfassen und kaputtmachen.)

„Schwer ist das, glaub mir.
Aber willst du das begreifen?“

...mit dem Echo, daß er
sie auf der Bühne
zusammenruft.
Gestalten im Dunkel
luftleere Schemen
mit Decken, Pantoffeln
und Wärmflaschen.

„Verbrecher. Man sollte
sie für immer einsperren
oder umbringen.“

(In Gedanken hat er
so viele umgebracht.
Er hat geschrien: „Du Schwein,
das geschieht dir recht.“
Er ist der Mörder, er prahlt
damit, der Folterknecht
seiner Feinde.
Ohne daß deshalb auch nur
ein Gran der Achtung
verlorenginge, die er für
sein Leben empfindet.)

„...aber ohne zu übertreiben.
Um sich nicht die Finger zu verbrennen.“

Das Schlafzimmer ist
im Chippendale-Stil

mit der Kommode
und den Sesselchen.
Da stehen ein Spiegeltisch
und ein großer Schrank.

„Was hast du vor.
Sag’s mir bitte.“

Von heiteren Wäldern hier
nur eine Ahnung, eine Andeutung
von Hecken an den Wänden.
Im engen Raum
gefangen
in der finsteren Schlucht.
Gefügige, geschwollene
Ungeheuerlichkeit
die umhüllt und verklebt
pralles Fleisch,
zarte Krem
die warmen Geruch verbreitet,
Feuchtigkeit unterhalb des
gurgelnden Knotens. Die Fülle,
die sich leert. Glühbirne
an der Decke
die herabhängt und hält
die nachgibt und zurückweicht.
Schale voll zarter Sahne
weiche Krake
Kaskade.

(Er träumte wohl früh
von Hintern und Schößen
und geweiteten Brüsten,
und er konnte sie gut zeichnen
und deshalb riß man sich um ihn.
Ihm genügten sie allein,
ohne den übrigen Körper
oder einen Kopf.)

...die Seiten, die Fächer,
im Reich, im Gewirr
eines Käfigs, eines Schachbretts.
Der Zauber wirkt
auf dem höchsten Seil,
auf dem Nestrand
des Hofes. Dank der Pflege
von Mägden und Huren.

„So, halt nur still.
Es ist nur ein Augenblick.“
„Lassen Sie mich. Was tun Sie?
Gleich schreie ich.“
„Du solltest mir dankbar sein
für das, was ich dich lehre.“
„Mein Gott. Was ist los,
wenn die Herrin uns hört...“

Das Bad ist eng,
mit einem Spiegel
unter einem Schränkchen
und dem Waschbecken überm Bidet.
Und zwischen Wanne und
Fenster, die Wachmaschine
und ein Schuhschrank.

„Denk nicht dran. Beweg
dich mehr. So bleibt
dir immer etwas, an das
du dich halten kannst.“

(Aber ihm scheint,
den Frauen gefallen
die Schufte,
nur mit denen
verlieren sie den Kopf.
Die andern, die nicht einmal
eines Winks bedürfen,
zählen letztendlich
nur als Mittel
zum Zweck.)

„Werd offener mit uns.
Was fehlt dir? Laß
dir doch einen Rat geben
von denen, die dir nahe stehn.“

...ja, diese fahlen
Blitze breiten sich
wie Haargefäße aus
auf der weißen Haut.

Die Kredenz und die
Hängeschränke aus Holzimitat
an der Wand, in der engen
Küche. Das Spülbecken
unterm Fenster
und der Kühlschrank, der
ein Drittel der Tür einnimmt.

„Die Zeit vergeht so schnell.
Und alles... Rasch. Wird alt...“

Die Melonenscheibe
schmilzt fast:
sie ist gerade
richtig gereift.
Laß sie über die
Zunge gleiten,
dabei denkst du
in aller Grausamkeit
an die Kommandostelle.

(Er liebt eine Vorstellung von sich,
er zehrt davon und von
seinen Erfindungen.
Seinen Hirngespinsten,
seinem Ruhm.)

„Ich weiß, das zählt nicht
für dich, ist nie gewesen.
Und wir haben uns abgerackert,
dein Vater und ich.“

(Zurückhaltend, introvertiert,
tadellos anzuschauen,
sich fügend jeder Autorität.
Er antwortet ernst:
„Aber ja doch, ich bitte Sie.“
Elegant, ja, und freundlich,
immer sehr diskret,
überall gern gesehen.
Das schon, aber... fern,
abseits fühlt er sich,
nicht einmal auf der Lauer,
nicht mehr in der Defensive,
fast gänzlich abwesend.)

 

 

 

MIT LIEBE ODER MIT GEWALT

 

„Ja, Frau Napier, die erste Liebe kann die letzte sein.“
„Du irrst. Nein, meine Liebe, so ist es nicht.“

Ivy Compton-Burnett

Nur der Tyrann spricht von Liebe.
Norman O. Brown

 

„Endlich bist du da.
Was ist los? Wo warst du?“

(Und es hilft nichts,
wenn er sich mehr beschäftigt.
Die Leere füllt
keine Geste, kaum kann
er sie ausführen oder auch nur
mit Schatten die Ebene
wellen, den Namen
der Ferne: inzwischen
ist der Gegenstand ein Wahn.)

„Es ist nutzlos, denn
du willst nicht verstehen.“
„Die einer Mutter
ist die einzige, die nicht endet.“

„Man fühlt sich auf einmal
so außer sich.“

Unbeweglich, unter Glas, nackt
hegt er die Erwartung
trocken
rauher Frost der Distanz
Schale, die das Zarte verbirgt
Absperrungsscheibe, die
inzwischen
birst.  So,
nicht mehr lähmend.
Tropfenweise verliert er
wird zum Rinnsal
zum Sturzbach.
Und rundherum, in angeschwollener
Menge, springt er auf, trübt sich
und aus den Schnitten
der blutenden Wunde
ergießt er sich.
In Bewegung, im Lauf
voll bis zum Rand
läuft er über, breitet sich
unaufhaltbar aus.

„Er wird sagen, es sei nicht wahr,
daß ihr das nur so schien.
Daß sie sich getäuscht hat.“

„Du bist gar nicht mehr zu Hause.
Wie du dich verändert hast...“

„Und warum wohl ich?
Weil ich ihm gefalle, hoffe ich.“

...und es gibt keine
Entschuldigungen, kein
wirkliches Heilmittel.

Das Zimmer ist eng
und lang,
die Fensterläden
sind immer zu.

„Ich gefall dir also?
Sag es mir nochmal.“

Und doch ist er ungewiß,
bleibt treu auf seinen Routen.
Stolpert im Dunkeln
durch Rauch und Nebel,
ohne irgendetwas zu wissen
von Heute und Morgen.
Es besteht aus Lockungen,
Schreien und Zeichen
die man sich beim Gehen
wie Rettungsringe zuwirft.

„Und wirst du meiner nicht
überdrüssig? Auch dann nicht, wenn...“

(Man läßt einander nicht im Stich.
Immer ist er anwesend.
Und fordert beide auf
zum beständigen Aussprechen
von Bestätigungen.)

Die Wandlampe
ist schwach: die Schatten
entfernen sich
voneinander.

„Küß mich. Los,
drück mich fest.“

Dem, was wandelbar
vergeht, herabstürzt
über den Abhang hinaus
sich loslöst, die Ränder durchbricht
verwirrt und verklebt
im selben gleichgültigen
Magma,
dem, was sich so gut
wie gar nicht selbst genügt
für einen genauen Zustand
eine Rolle,
die weder Raum noch Zeit hat
die keine Geschichte hat
außer der eines Schrittes
eines kurzen Fluges,
steht das Unerschütterliche gegenüber
die einzige Verpflichtung
die Gewißheit
des nicht Gewußten
nicht Gesehenen.

...spüren, daß man jemand
anderm gehört, und daß
jemand dir gehört
für immer, ausschließlich.

Ein Verlangen nach Dauer
nach Ausdauer, um jeden
Preis, nach vorsätzlichem
Widerstand gegen die Leere.

„Aber warum interessieren
Sie sich nur für mich...
Was habe ich? Was tauge ich?
Das Sie nicht besser
bei jemand anderem fänden.“

Bücher auf dem Boden verstreut
und Stapel von Heften
hinter dem Vorhang
an der Wand.

„Wir bleiben immer zusammen.
Und sagen einander alles.“

Der Zustand der Knechtschaft:
eine Art Gurt, den man
mehr oder weniger anstrebt,
nach dem man aus Angst trachtet.
Der auferlegt und gleichzeitig
ertragen wird.

„Kopf, wenn Sie es ernst meinen.
Wenn Sie mich für immer haben wollen.
Zahl, wenn das nur ein Spiel ist,
das zu Ende geht.“

...ein Zweifel
überfällt dich
hinterrücks.

„Aber ja, du wirst sehn,
er wird mich sitzenlassen.
Das ist eine Frage der Zeit:
wenn er schließlich
die Lust verliert.“

Das Bücherregal
verstellt das Zimmerchen
und bildet eine halb
verborgene Nische
beim Fenster.

(Sie werden für ihn
zum Mythos. Die Auslöser
eines Schicksals, das,
wie er beständig
befürchtet, vielleicht
keine Antwort hat.)

„Machst du dich lustig?
Also, wie sehr?“
„Soviel. Noch mehr.
Unendlich. Zum Sterben.“

Im geläufigen Gebrauch
wird es nach Stunden gemessen.
Und doch gibt man ihm
schließlich einen unbestimmten
Wert, den eines Schatzes,
von Lichtjahre großem Raum...

...noch
verstecke ich mich
hinter der Mauer
aus Licht, der Frucht
des Traums.

„Du bist anders,
einzigartig.“

Hinzugezogen
gehalten, ungreifbar,
genossen, deklamiert,
weil es alles ist.

„So geht es nicht.
Ich antworte dir nicht.“
„Aber wenn du wirklich
wählen müßtest...“

Der alte Parkettboden
riecht
nach Bohnerwachs
und knarrt beständig
bei jeder Bewegung.

„Wenn Sie von da aus hören...
Warte. Hör zu, ich hab Angst.“

Zusammen. Sich leise
an dem Körper festhalten, der vor
der Berührung, dem Kosten verhüllt ist
vom Auge
geschändet, von der Hand.

Ein verlorener Sinn,
wiedergefunden,
beim langsamen Fallen
des Gewichts, läßt man sich los
von Mal
zu Mal, beugt sich
ergibt sich seinem Flug.
Am Grund, mit Gewissensbissen
ausgestreckt
herabgeglitten, verwirrt
sich ergebend dem engen Gurt.

Schönheit, das weiß ich,
du allein existiert.

(Und doch wischt er sie weg.
Er möchte nicht,
daß sie das ist, was ihn
am meisten von ihr anzieht.)

„Aber was denkst du
wirklich von mir?“

(Ihn bestürzt
der Anspruch,
seine Gedanken in sich
gegenwärtig zu haben.
Er fürchtet, sein Gefühl
werde nicht erwidert,
sie beachte nicht
die völlige Hingabe.)

Die Sisalmatte
ist zwischen dem Stuhl
und den Beinen des Tischchens,
bis unter die Röhren
der Heizung.

„Was hast du?
Willst du nicht? Gefällt es dir nicht mehr?“

Es passiert oft
üblicherweise oder irrtümlich
daß jedes Lebewesen
das vorkommen kann
in seinen Funktionen
konditioniert wird
von den Gefühlen
des Schmerzes oder der Lust.

„Ich sag dir, nichts.
Ich verweigere mich nicht.“
„Aber du antwortest nicht...
Siehst du, du schweigst.“

„Es ist unglaublich, aber
ich fühle mich erleichtert
kaum bin ich hinausgegangen,
kaum hab ich sie verlassen.“

(Ihn bedrängt die Angst,
er könne in Gegenwart
des geliebten Körpers
verärgert gezwungen sein,
zuzugeben, er sei satt,
nachdem er ihn gesehen
und immer häufiger berührt hat,
und schon ist er
in Gedanken fortgeglitten
zum tatsächlichen Verlassen,
um ihn dann wieder
neu zu finden.)

„Sonderbar, und doch
ist die Erleichterung echt,
die ich fast empfinde,
sobald er fort ist.“

... und so, offen
geschwollen, bleich,
immerhin nicht
mehr blutig,
die Wunde.

Die Wand schwitzt
Feuchtigkeit aus:
sie ist ganz rauh
vor Krusten,
die die Bilder
hochheben.

„Komm, leg deine Hand
in meine.“
„So ist sie gefangen
in der Schlinge, die sie hält.“
„Schwör, daß du sie nie
wegen einer anderen verläßt.“

 

 

 

DIE BELAGERUNG VON KONSTANTINOPEL

 

Ihr denkt, o meine Schüler, ich verberge euch etwas...
Aber wahrlich, es gibt nichts, was ich euch nicht sagte.

Konfuzius

Ich hatte schlechte Lehrer. Das war eine gute Schule.
Arnfrid Astel

 

...die schreckliche Höhle,
voller Dunkel,
mit Stichen in die Augen
und unsrer Ungewißheit
über unsre Ziele.

Ein offener Horizont
den du nicht berührst,
dessen Kreis dir entflieht
in der Entfernung.

„Sie dachten, jenseits
der bekannten Gebiete,
sei der Sitz des Volkes
der Seligen...“

Sie haben schon alles probiert,
den Wein, die Schlägereien,
die Liebe.
Aber sie verzehren sich vor Hunger:
sie gehn nicht über die Grenze
des Zimmers hinaus,
sie treten nicht vor die Tür,
aus Trägheit, Furcht
oder Gleichgültigkeit.

(...daß es ihm gelingt,
den Zustand der Erwartung
und des Mangels
in Worte zu fassen,
daß, wenn auch in der Abwesenheit,
das ein Gewicht bekommt,
dessen Gehaltlosigkeit
in jedem Augenblick zu befürchten ist.)

Zu so vielen sich bewegen,
aber jeder für sich,
bis zum Einbruch der Nacht
auf den Karten, auf den Routen...
den Schritt beschleunigen
zur Höhe hin
zum Ziel, als gelte es, als erster
den Gipfel zu erreichen.
Von da oben jedoch
behindert
den Blick nach unten
feiner Ruß.

In abgetragenem Schwarz,
die etwas mondförmigen Hände
an seinen Stock geklammert,
der Alte, der Heilige,
der Lehrmeister,
umgeben vom Hof
der stummen Haushofmeister
und Prälaten, die ihm
den Gegengesang liefern.

(Er wird sich bewußt;
er ist nicht so sehr wegen
der Universität hierhergekommen.
Dem liegt eine andere Vorstellung
von Raum und Zeit zugrunde,
ein Umkippen
der Vergangenheit.
Die Neugier. Etwas,
das sich womöglich bald,
auch wenn er jetzt noch
verblüfft ist,
legen wird.)

Der Eingang ist eine
langgezogene Schachtel.
Das wenige Licht fällt
vom Hof herein.
Die Wand ist tapeziert
mit Zeichnungen:
der Che und Sterne
mit fünf Zacken
und mehrmals,
in Rot und Schwarz:
im Herzen der Macht.

„...von allen kennen wir
die Entwicklung.
Nur die Nausikaas
bleibt ungewiß.
Von ihr wissen wir nur,
daß sie Jungfrau war.
Aber bleibt es dabei? Die Liebe oder
der Zufall oder die Staatsräson...“

Während er volltönend
die gut einstudierten
Formeln hersagt,
seine Lektion vorträgt
mit erhobenem Zeigefinger,
undalles lachend zur Seite
der Vernunft hin abstimmt,
wie er meint.

(Angst vor dem, was er erwartet,
aber nicht nur für sich allein,
auch für sie, davor, daß
die Begegnung mit der Wirklichkeit
ihre Einheit verändert
oder verfälscht, oder daß
er ihr vielleicht ein schlechteres
Bild von sich hinterlasse.
Und außerdem Neid,
weil sie sich exponiert.
Wobei er zweideutig
die Absicht verschweigt,
für sie zu wählen.)

Die Treppe ist breit und dunkel.
In kräftigem Ockergelb
mit feuchten Flecken,
verschieden ausgemalt:
Das Volk steigt auf,
Genug mit der Bibliographie,
Arbeiter und Studenten,
Tod den geizigen
Mandarinen der Bourgeoisie.

Der wieder aufgegriffene Gedanke,
Ordnung in die Welt zu bringen
beharrlich zu sein bei der Suche
nach dem Geheimnis.
Da sei nur eine Frage
der Geduld.
Aber es erspare uns
jegliche Mühe...
Der Anspruch,
von Büchern und Schriften
Rechenschaft zu verlangen.

Mit Bänden vollgestellte Wände
und Staub und Einrichtung
aus Holz
ringsum.
Stimmen und Schritten, leise
am Tisch
schwebend,
Rascheln von Seiten
und Ellbogen und Knöpfen.
Geräusche in der Ferne
verhalten
nach draußen verdrängt
durch Sperren aus Papier.
Fließen, Energieströme
von einem Pol zum andern
von den Seiten zurückprallend
gegen die vorwärtsgeneigten Körper.
Senkrecht
im Gleichgewicht
beim Angeln, über Umschlägen
Listen, Berichten
einer konzentrierten,
in Schachteln gesteckten,
ausgepreßten, destillierten Welt.
Alles blockiert
oder in leichter Bewegung
von Algen und Fischen
im Aquarium,
bis zum dumpfen Aufprall des Buches
zum Umfallen des Stuhls
zum Niesen.

...trotz der Bemühung,
die es gegeben hat, bei
jedem Schritt, alle Gründe
verletzend, die sichersten
Handhaben hinwegfegend,
nichts soll bleiben.
Alles ist ausgelöscht.

Liebe, die keinem Geliebten
das Lieben verzeiht...
Aber sie rechtfertigt nicht,
sie gehört nicht,
funktioniert nicht,
nur als Geräusch
und reiner Klang
der nichts andres enthüllt,
den für sich auszusprechen,
zwischen den Lippen
zu zerreiben,
Vergnügen bereitet.
Und... das Gedächtnis
gibt nach, vergeht.

(Es passiert ihm, es ist
schon vorgekommen, daß er
glaubt oder auch nur hofft,
ein Schriftsteller zu sein.
Er ist vorsichtig, steif
bei dieser Erkundung:
er horcht sich ab, und während
er wartet, hat er Angst. Ja,
er fürchtet sich vor der Antwort.)

„...es könnte ein Irrtum sein,
und du täuschst dich, wenn du das
für den einzigen Ausdruck hältst.“

Man verschanzt sich
hier, übrigens
wie woanders auch,
hinter Details.

Der Saal ist klein,
er fährt jedesmal auf,
wenn die Tür zuschlägt.
Es ist ein Korridor,
in Zimmer geteilt,
mit den Fenstern
in Bodenhöhe.

„...aus diesen Tyrannen
winziger Reiche
mit ihren Harems,
Schreibern und Prätorianern.“

...nun bedrängt
von allen Seiten,
auf wenige Meilen geschrumpft.
Belagert wurde sie
vom Land und vom Meer aus
von unzähligen Horden
von einer Flotte...

Das war nicht der Korridor,
der Flaschenhals
der Thermopylen.

Hände, die einen
bleichen Hals zudrücken,
der vergebens bebt.
Vor den Augen, einerseits,
goldene Türme und Kuppeln
jenseits der Mauern.
Andererseits...

Keine Erinnerungen,
nein, ohne Worte
der Angst gegenüber.

Der Fall. Die Belagerung
von Konstantinopel.

Der Gedanke, zeitweise,
daß zählt, was schon
gewesen ist, der Rest
der Zeiten, die Ordnung,
die klarer aufscheint als...
das Ergebnis:
sich den Dingen ergeben,
wie sie sind, ihrer
trägen Bewegung, um
wenigstens ihre Leere
zu ertragen und zu verdecken.

„Über dem Mond
ist das Reich des Göttlichen
darunter das der Menschen
und der Dämonen.
Vom Äther zur Erde
wird der Körper
immer schwerer.“

(Im Grund glaubt er nicht
an den sauberen Schnitt.
Das Leugnen paßt ihm,
solange er auszuwählen vermag.
Aber die geforderten Grenzen,
das Band vor den Augen
und dem Gedächtnis...
Er verwickelt sich nicht
in das Handeln, das behauptet,
die Welt zu erleuchten,
und das einer angeblichen Wahrheit,
dem Glauben zuliebe
täuscht und verschweigt.)

Der große Korridor
bekommt kein Licht.
Es gibt Neonlampen und Bänke
an den Wänden
und niedrige Heizkörper.
Bunte Schriften
ringsum,
die Wörter treten hervor:
Nicht Parteigänger sondern
Subjekte der Geschichte.

„Hauptbeschäftigung
aller Priesterorden,
womöglich habt ihr
nie daran gedacht,
war es doch täglich,
das Mahl für die Götter
zuzubereiten
und dann einzunehmen.“

Vermindern, verkleinern
in zunehmender Verfeinerung
und es dann auf den Grund
sinken lassen, Bankrott,
so sei es. Aber...
schließlich ist auch das
nicht der richtige Weg.

(Er fürchtet, daß er
bei defensivem Verhalten
vielen Dingen gegenüber
sie nicht sagen kann,
wie sie sind,
daß das nur möglich ist
bei freiem Feld
zwischen sich und ihnen.)

 

 

 

BEMERKENSWERTE PRODUKTE

 

...ja, die höchsten Maximen bereiten auf das Leben vor.
der Minister für öffentliches Unterrichtswesen

Es gelingt uns nicht, die Dinge entsprechend unseren Wünschen zu verändern,
vielmehr verwandelt sich allmählich unser Wünschen.

Marcel Proust

 

„Paß auf. Geh nur weiter,
verlier keine Zeit.
Hast du die Hausaufgaben gemacht?
Hast du fertiggelernt?“
„Was solls...“
„Treib dich nicht herum.
Spiel nicht die Gans.“
„Pffff.“
„Benimm dich nicht daneben.“

„Ja, zu dieser Uhrzeit
scheint es ein Trugbild.“
„Ein Schiffsgerippe.“

Licht in Spiegel und Türgriff. Aber
am dunklen Grund des Schranks,
wie dicht zusammengerollt
und unbeseelt, sich aufschichten
als sauber gefaltete Wäsche,
in Streifen, in Walzen, in Schlangenlinien
vor dem trockenen, übelriechenden,
splitternden, knisternden Furnierholz,
wie für ein Fest herausgeputzt
und unversehrt bewahrt auf dem Weg
unbeweglich, in Zellophan gehüllt
zusammengezogen,
Hülle, Unterlage, Pfahlrost
aus Formeln und leeren Figuren
mit wiederholten Hindernisrennen
leere Hülse
rauher geschrumpfter Ball
herabgefallener Putz
ohne Überbleibsel entkernter Mantel,
mit sich zufrieden, damit daß...
doch frei im Wind
bläht sich, prustet, windet sich
Ungeheuer, Greif oder Drachen
das Tuch, der Kiel eines Trugbilds
bleiche perlfarbene Milch
weiß wie Licht,
aus Wachs    weicher Körper
ergriffen losgelassen.

„...die Aufgabe, wenn wir ihr
die neuen Leute anvertrauen,
die Ermahnung des Dichters:
mäßige der kühnen jungen Leute
selbstsicheren Geist.“

Der Vorhang ist trocken
vor Staub,
durch die schmutzigen Scheiben
fällt das Licht
auf die rissigen Wände.

„Manchmal frage ich mich,
was wir eigentlich tun.“
„Es scheint, dir entzieht sich,
was du zu finden glaubtest.“

(...sed lex. Die Disziplin
ist deshalb unverzichtbar.
Wenn die Soldaten im Feld
dem General nicht gehorchten,
wäre die Niederlage
im Chaos unvermeidlich.)

Gelblich hängen die Lampen
von der Decke,
die Bänke sind wacklig
voller Kritzeleien.

„...die Bedeutung ist pflücken,
lösen, entreißen.
Man sagt das von Blumen und Obst,
von Pollen saugenden Bienen.
Von dem, der das Leben genießt,
aber auch davon verzehrt wird.
Schreibt die Formen an den Rand:
carpo carpsi carptum carpere.“

„Da bekommst du Lust darauf,
an anderen Orten zu sein.“
„...daß alles dahinläuft,
mit einem Schlag für dich vorübergeht.“

Die Spinnweben bedecken
die staubigen Roste
der großen rostigen
Heizungskörper.

„Von dem reden,
was immer gesagt wurde.“
„Von Büchern, die dann
keiner gelesen hat.“

„...Nein, es genügt nicht.
Seid nicht so faul. Thema:
Jeden passenden Bezug
nehmend...

...alle stimmen überein,
daß die Welt sich gewandelt hat,
und daß das Lernen
zum Problem Nummer eins
der Jugend geworden ist.

Heute, mit den Maschinen
und dem Fortschritt der Wissenschaft,
ist der Nichtwissende verwirrt
in der modernen Zivilisation...

...von uns,
wenn wir groß sind,
was werden wir tun,
was werden wir nicht tun.
Die Zeit drängt immer mehr.

...um uns eines Tages, hoffe ich,
in der Welt wohlzufühlen,
in der wir leben werden.

„Weißt du, ich hab ihn gestern gesehn,
wie er aus der Schule kam.“
„Du grüßt ihn, du hältst ihn an,
du redest ein paar Worte mit ihm.“

Am Boden schweben
dunkle Bündel aus Wolle
und Haaren bei jedem Schritt
die Mauern entlang.

„Es will mir nicht gelingen,
mit ihnen zu reden.“
„Jeder behält
seine Gedanken für sich.“

Die Tafel an der Wand
ist zugeklappt.
Das Schwarz der Platte
ist nicht mehr sauber,
die Ränder sind
voll Kreidestaub.

Staub pulvis Staub
Staubwolke.
Staub für das
flüchtige Zeichen.
In solem et pulverem
producere doctrinam.
Staub und Schatten.
Stechen glätten schütteln
vom unruhigen Lichtkegel
zum Vermischen ringsum
im Türrahmen.
Last und Schwere
im warmen Lufthauch zurückgelassen.
Im Staub das Körnchen,
das der Ursprung war.
Im Staub das Körnchen,
das die Maschine hemmt.

„Das scheint befremdlich, ich verstehe,
wie das ist, und Langeweile überkommt
euch beim Lesen. Aber
das ist nur eine Frage der Zeit,
ja, glaubt mir...“

Im Dunkel des Klassenzimmers,
hinter den anderen, ganz hinten,
kämmt sie sich und lacht.

„Ich hab gedacht, manche Dinge
passieren nur mir.“
„Solange niemand anderes
mit dir darüber spricht.“

„Was solls! Wichtig ist:
geh die Frage an, und mit den Daten,
die du im Kopf hast,
stellst du das genaue Bild
der Lage zusammen.“

(...entscheidender Faktor,
immer, für die Entwicklung
des moralischen Charakters.
Der junge Schüler
denke nach und entziehe sich nicht
im erzieherischen Prozeß
dem Beitrag,
der wesentlich ist.)

„Bleib zu Hause. Es ist besser.
Wohin willst du denn gehn?“
„Wohin ich mag.“
„Paß auf, daß du es nicht bereust,
hier mögen wir dich.“
„Was hat das zu besagen.“
„Die Welt draußen ist böse,
was weißt du schon davon...“
„Ich will es selber sehen.“
„Hier fehlt dir doch nichts.“

„Die Dinge, die ich empfinde,
sind denen der Autoren gar nicht ähnlich.“
„Vielleicht sind das sonderbare Leute,
zu viele Jahrhunderte weit weg.“

Sie schreiben in Eile etwas
ins Heft, sie lachen
und lesen es zusammen durch.

„...jede Absicht, der Wille,
beim Bevorstehen eines Geschehens.
Auch Bestimmung, Notwendigkeit.
Versteht ihr? At tamen fiet
quod futurum est.“

Er stützt sein Kinn
auf ihre Schulter und lacht.
Während des Unterrichts
ist der Schatten dunkler.

Aus dem Tuch und dem Schatten
kriecht unmerklich,
Vorwand und Schreckbild,
Anzeichen, leise Erscheinung
die milchweiße Larve
dessen, was sein wird.
Sich dem Schatten überlassen
wie im Gleichgewicht,
von dem her Licht wahrzunehmen ist.
Sich schütteln, wieder anfangen
im langsamen Zustand des Kontakts.
Süße elektrische Flüssigkeit
aufgelöster Saft.
Er wickelt sich aus und ein,
er verdrängt und verstärkt
das dunkle Verlangen,
das Gefühl für ein Ereignis,
das sich nie erfüllt.

„...die Regel? Wendet sie an,
dann habt ihr tatsächlich
die Lektion gründlich verankert.“

„Aus seinem Blick entnehme ich,
was er von mir will.“
„Mir würde schon genügen, ihn einmal
sagen zu hören, er sei sich nicht sicher.“

Sie flicht sich Zöpfe
und mit gesenktem Blick
läßt sie zuweilen den Füller
auf die Bank fallen.

Mächtiger Vater
Willkür und Befehl
Gebieter, der
die Fäden hält
der stützt und bewegt
herrscht und bewilligt.
Abwesender Vater
ferne Sonne
unbekannter Beruf
bedrängendes Rätsel
anders und fremd
Grenze Gemarkung Ende.
Strahlender Vater
in Gedanken und Träumen
nur an der Hand gehalten
heimgekehrter Krieger
nur kurz geneigt zu bleiben
zu spielen einmal zu reden
Vati Papa.

„Hier, beim Erlernen
der Regeln des Spiels
könnt ihr Erfahrungen sammeln
euch im Leben behaupten.“

„Sie wissen nicht, was sie sagen sollen,
der Wortschatz ist gering.“

„Sie wiederholen noch die Sätze,
die ich schon immer gehört habe.“

„Denk nicht dran. Es geht dir nur
schlecht: du bist müde, erschöpft.“
„Aber mir gehts gut... Das sind meine
Angelegenheiten. Laß mich in Ruhe.“
„Alles Einbildung. Du wirst sehn,
mit einer Kur geht das vorbei.“

Die Mutter lächelt
zwischen den Wortwechseln
im Sonnenlicht, das abends
auf dem Staub
der Bänke stockt.

„Das Mädchen denkt nur
an die Schule.“
„Für eine Frau genügen
oberflächliche Kenntnisse.“
„Das Wichtigste ist mir
die Disziplin.“

Im tiefen Klassenzimmer,
von der Gruppe unbestimmter Gestalten aus,
schaut sie sich um
mit Verschwörerblick.

„Das sind junge Menschen, sie wollen
Gewißheiten für die Zukunft.“
„Sie werden es selber sehen,
wenn Sie mal Kinder haben.“

„...das würde ich nicht sagen,
aber sie fühlt sich wohl bei Ihnen,
das kann ich versichern.“

„Sie ist noch ein Kind.
Bei dem, was heutzutage
auf der Welt passiert.“
„Ich hab ihr immer gesagt,
sie soll sich nicht vordrängen.“
„Sie soll sich nicht in Dinge
hineinziehen lassen.“

Wenige Worte in Eile,
ein trockenes Lachen,
während das Licht ertrinkt,
von der Decke verschluckt.

„Das ist eine Frage des gesunden
Menschenverstandes.
Hören Sie auf mich:
was zählt, erlauben Sie mir,
Ihnen das zu sagen,
ist die Erfahrung.“

Mutter und Ursprung
Schale, von der sich
das Innerste befreit
Vulva dunkle Höhle
mit Perlmutt besetzte Muschel
Scheide Futteral.
Stiefmütterliche Mutter
Knoten, Eisendraht
verdrehtes Seil
Ende eines Taus
Kabel Röhre Kupferdraht.
Mutter und Patin
Stange, woran die Reihe sich festhält
Grundlage Stütze
Stab, der den Weg weist
Ruder Riegel Steuer.
Zappeln im Fadengewirr
spannen zerreißen
die Umhüllung entwirren.

„Wozu das gut ist?
Das ist eine ganz natürliche
praktische Übung.
Auch das Tonleiterspielen
ist langweilig, immer dasselbe,
aber wenn man lernen will,
ein Instrument zu spielen...“

Die Tür geht auf,
der Hausmeister kommt rein
mit dem Rundbrief.

(...nicht nur Garantie
des Friedens für Europa,
Siegel der ewigen Verbindung
von Schicksalen, Leben,
in gemeinsamer Geschichte,
in einer Kultur.
Mazzinis Traum...)

„Manchmal hätte sie es gern,
daß ich ihre Worte wiederhole.“
„Sie sucht mein Vertrauen,
um mich unter Kontrolle zu haben.“

„Das eklige Zeug..., hab
keinen Hunger. Nein, ich mags nicht.“
„Iß nur, das bekommt dir gut.
Was habt ihr in der Schule gemacht?“
„Wann... Heute morgen?
Pfff, nichts. So ein Blödsinn.“
„Was heißt das, nichts. Bleib ruhig sitzen.
Jetzt schnaubt sie glatt, die Arme.“
„Wie gehabt, immer dieselben Sachen.
Das mag ich nicht, das krieg ich nicht runter.“
„Iß schon, halt dich gerade.
Machst du das mit Absicht? Setz dich näher ran.“

„Also, was für Bedingungen?
Wie, wann, warum...
Du mußt den Modus kennen
und die Beweise.“

Die Klasse ist dunkel:
von den matten Kugeln
dringt das Licht
nur halb herab.

„...womöglich
noch schöner.
Sucht, um zu begreifen,
die genaue Redewendung.“

Sie schlägt das Heft auf.
Sie schaut die Freundin an
und liest, ohne zu atmen.

„Das Leben ist ein Ball:
tauch ihn unter, er kommt wieder hoch.“

„Das Leben ist unstet
und bewegt sich ziellos.“

„Das Leben ist schmutziges Wasser.
Es ist alles und nichts.“

Lebendiges Leben
offener, heimlicher Zustand
Aktion und Funktion
Trennwand zwischen Nichts
und Nichts
Muskel der Diastole.
Umherstreifendes Leben
anregender, hemmender Zustand
Aktion und Ratio
Verknüpfung Verkettung
Muskel der Systole.
Fließendes Leben
stagnierender, eilender Zustand
Aktion und Fraktion
Teilung Vermengung Gemisch
Kombination.

„Wissen Sie, der Lehrplan...
Es gibt eine höhere Ebene.
Aus nichts kommt nichts.“

„Dann auf Wiedersehen.“
„Guten Tag, guten Tag.“

Die Reihe der zerbrochenen
Kleiderhaken im langen
Korridor. Auf dem Boden
die Papierfetzen und Kippen.

„Auch du wirst gemerkt haben,
daß er sonderbar ist.“
„Sachte, sachte, du fühlst dich
teilweise so verschieden.“

Wasser, das trägt
das sich neigt das sich senkt
von Ufer zu Ufer
das sinkt und springt.
Welle, die erfaßt
die stürzt und überflutet
sich ergießt und zergeht
sich verströmt
zerstreut und einhüllt
verbindet.
Schwimmend und wogend.

„Das ist ein weites Meer,
auf dem man täglich fährt.“
„Bis du irgendwo
an Land gehen kannst.“

„Komm, beeilen wir uns,
es ist schon spät.“
„Überhaupt nicht spät!
Bei dem, was uns erwartet...“
„Wer weiß, ob heute morgen
nicht jemand fehlt.“

 

 

 

 

AUSSERHALB DES KÖRPERS

 

Der Mensch hat die natürliche Neigung, sich vom Körper zu entfernen
und seine Funktionen von sich fernzuhalten.

Jonathan Swift

Es ist ein Fehler unseres Körpers, daß er, je mehr man ihn pflegt und umhegt,
umso mehr Bedürfnisse entdeckt.

Theresa von Lisieux

 

„Dann wäre alles also
ein großer Irrtum.“
„Ich weiß nicht, ob Zufall
oder höhere Ebene. Aber
gewiß in Mangel
und Schmerz.“

Das Unbekannte tritt
einen Schritt zurück und
rückt unendlich weit vor.

„Oder zumindest der Eindruck
eines Vergessens... Was weiß ich,
eines Ertrinkens.“
„Daß es auf den Grund sinkt,
wenn der Horizont verlorenging,
und wegläuft.“

Es hat den Anschein, als habe
die Welt keine Geschichte,
als fehlten feste
Umrisse, als geschehe alles
aus Trägheit, zumindest
von einem bestimmten Punkt aus,
oder wegen des Drucks einer Leere,
die Raum und Bewegung bekommt
im Ablauf der Tage,
bis sie zur Fülle wird.

„Vorsicht, das versteht sich, achte
auf den Weg. Folge der Piste,
ohne dich Fehlern zu fügen.
Du darfst nichts falsch machen,
weniger denn je im Bekannten.
Das wahre Geheimnis
liegt gerade in dem,
was zu sehen ist.“

...wenn man nichts verliert,
erobert man auch nichts.

Es ist leer, es ist nichts
endloses Eintauchen
Schatten aus Schatten
es hält
der Körper steigt nicht auf
die Stimme drängt
aus dem Wasser
jeder ergreift
von sich
den Teil, der auftaucht
und täuscht den versunkenen Rest vor
näht die Zipfel an den Rändern
des Sprungs zusammen
erdenkt sich die Gestalt
die kommt und nicht wiederkehrt
in Blut und Schlamm
im Aufgelöstsein
und hinauf vom Grund
nur kopfüber
tief unten
    inter
urinas et feces
unter müdem Licht
zwischen Geräten und Mull
an den Tag kommend
nascimur.

Innerhalb des Raumes
der Theorie ergibt sich
Identität (meine?)
praktisch aus dem Eintrag
ins Einwohnerregister.

Leben: ein Zustand
der Konfusion,
versuchte Beziehung
zwischen einem vergeblich
organisierten Heute
und dem vom Gestern vorgezeichneten
unvermeidlichen Kurs.

Qual der Gesten
und Absichten,
erlebter, nie akzeptierter
Kompromiß der Worte.

(Man sieht sich nicht
als jung noch als alt,
weiß nicht, ob schön
oder häßlich. Man nimmt
sich als Hindernis wahr
oder man verschwindet
so gut wie ganz.)

Kontrollen, Zögern,
endloses Warten
bevor man
schließlich springt.

...und so, beim langsamen
Versinken, auf dem Kamm
jener Welle...

„Bis man entdeckt,
daß in dieser Richtung
kein Ufer ist.“

Fortschreitendes
Auslöschen der lieben
oder bekannten Menschen,
die Rechnung beginnt,
nicht zu stimmen.
Der Spielraum wird
immer enger, weil
Risse und Lücken entstehen
zwischen den Reihen.

„Die Unzufriedenheit,
die dich überfällt,
ist nur natürlich.“

...wegen dem, was
du gedacht hast
oder in der Erinnerung
an das schon Gewesene.

(Von Natur aus mag
er keine Risse, nur
von außerhalb
der Bühne, vom richtigen
Beobachtungspunkt aus,
der zumindest
so gut wie möglich
besetzt sein soll.)

„Als müßte ich
sie besser machen.“
„Weil sie tatsächlich
immer enttäuschend ist.“

Im Zeichen der Flucht
und der Abwesenheit,
der Fäulnis, des Dunkels,
des kaum eroberten, schon
wieder verlorenen Reiches,
des anschwellenden, dann
abgestochenen Schweins,
des Schneehaufens, der
sich in nichts auflöst.

(Abscheu vor Schmutzigem,
Schleimigem, Dunklem.
Ihm graust schon beim Anblick
von Spinnen,
von Insekten.
Die Vorstellung einer Berührung
läßt seinen Atem stocken,
als pralle er
gegen eine Wand.)

„Das geht vielen Leuten so.
Sie bilden sich ein
oder sie hoffen,
es gebe eine Lösung.“

Manchmal trifft man
auf einen dieser Durchgänge:
einen Tunnel, Korridor
zwischen Drinnen und Draußen
zwischen Fülle und Leere.
Brunnen, Vulkankegel,
Abgrund. Schlucht, so
scheint es, an der Grenze.

...unverwandter Blick
ins Unbekannte, die
tonlose Stimme, das
unkontrollierte Zucken
einer roten Lippe
im Wachsgesicht.

Ein auf jedem Ding
atmender Hauch,
Niederschlag von
Atemluft und
Zersetzung,
ein Todeshauch,
entstehend
bei langsamer,
feuchter Gärung.

„Schauen Sie, es wird
so sein, wie Sie sagen.
Jedenfalls ist das lästig.“

(...obwohl das Umfeld
ihn Diskretion
vorziehen läßt, ihm
ein Minimum an gutem Geschmack
auferlegt hat, beides
spießbürgerliche Laster.

Das Ärgerliche ist,
daß es auch passiert,
wenn wir nicht da sind
und, beschäftigt
mit einer anderen Geschichte,
nichts davon merken.

(Sie weiß, ihm gefällt es
– das wird bei ihm ja alles
mit dem Kopf gesteuert –,
daß sie die Schuhe anhat,
wenigstens einen, die
mit den Pfennigabsätzen,
die sie immer dabei hat:
sie währenddessen berühren,
spüren, daß sie ihn tritt.)

Das ist ein eigenartiges Gefühl...
„Los, kratz mich
mit deinen Krallen!“
der Eroberung und der Macht,
sie festzuhalten.

Dasselbe Vergnügen,
mit dem man unbeweglich
jemand mit dem Blick verfolgt,
der weiter weg
in Bewegung ist.

Mit dem Geschmackssinn, ja,
mit dem Tastsinn und
den Augen, mit dem ganzen Kopf,
mit Händen und Lippen
und Haut... kurz,
mit dem Körper
und doch außerhalb
seines Körpers.

(Vereint, noch
immer, in dem Auftritt,
der sich bewahrheitet.
Sie ist beim Doktor,
mit dem sie ihren Mann
betrügt.
Er hat eine Liebelei
mit dem Hausmädchen,
wenn die gnädige Frau
außer Haus ist.
Er neigt dazu, und
sie ist bereit, zusammen
eine Komödie zu spielen.)

Das, was gesagt
und beim Sagen widerlegt wird,
ist das, was zählt.
Das, was dazu bestimmt ist,
sich instinktiv zum
verfluchten Objekt zu machen.

... sie beißt, die Tigerin,
und kratzt. Die Zunge
rutscht weg.

Ich will, daß du mein bist,
mir treu und vollkommen
abhängig von mir.
Ich will ohne Einschränkung
über dein ganzes Leben
verfügen.
Auch wenn das gegen
die Vernunft ist, auch wenn
ich spüre, daß das
eine Täuschung ist, aus Angst,
und eine Gewaltanwendung.
Soll es doch.

Das wird die Störung
einer Interferenz sein,
eine Auswirkung der Liebe,
die nicht vollständig
Besitz ergreifen kann,
aber nicht loszulassen erlaubt.
Die Notwendigkeit,
eine Flanke zu schützen,
mit der Folge, daß man
etwas besitzt, ohne ganz
bereit zu sein, dem
zuzustimmen. Und dann
die Last der Skepsis
gegenüber dem Augenschein,
der dich anfällt, daß
auf jeden Fall und immer
alles dazu bestimmt ist,
schlimm zu enden.

„Kann es gelingen,
sie zu schreiben, ja,
sie zu finden... die vermeintliche
Wahrheit der Dinge?“

Der weiße Ritter,
hoch zu Roß, unwiederholbar,
einzigartig.

Es ergibt sich ohne Plan,
wegen der unberechenbaren
Menge der in die Schlacht
geworfenen Kräfte,
die Überraschung, die Chance
eines anderen Ablaufs,
der Abstieg von
ferneren Räumen,
die Überschneidung
am selben Punkt.
Aber immer ohne
die Zeit oder auch nur
die Möglichkeit,
ins Gespräch zu kommen.

(An dieser Stelle
ist er schon gewesen
und wird er noch
wer weiß wie oft sein.
Wenn sie nicht wäre,
würde eine andre
ihm Echo sein.
Dann liegt die Lösung,
wenn auch unvorhersehbar,
zynisch und grausam,
im Eingeständnis,
daß die Komparsen
austauschbar sind,
daß sich dieselben Dinge
mit der gleichen Überzeugung
mehreren Personen
sagen lassen.)

„Es schien, als sei das
irgendwie für immer...
endgültig.“
„In einer, wie man hätte
meinen können, ewigen
Beziehung.“

Beim Gehen kippt
die Perspektive, das ist bekannt.
Und bewegte man sich nicht,
entging einem vollends,
daß diese Frage nur
relativ ist. Es ist
die Bewegung, die
einen mit den Dingen
verbindet, sie macht
die fernen zu nahen
und die benachbarten
auf einmal leer.

(Plötzlich,
in der toten Luft
des Tunnels,
der Reiz in der Kehle.
Jedesmal wenn er
da hindurchging...
Und doch, das kann nicht sein.
Daß nur eine sich daran erinnert,
es vorausahnt.
Er klopft gegen die Wand
und wird sich bewußt,
bei der blinden, immer
gleichen Fahrt
– Spiegelbild seiner selbst
seiner Entblößung –,
was er gewesen ist,
wie er sich von Grund auf
und gegen seinen Willen
verändert hat.)

So bildet sich
jeder spontan ein,
er befinde sich an einem Platz,
wo er nicht ist. Die Rolle,
die ihm zugewiesen wurde,
verschwindet vor der
nur vorgestellten.

...die süße Last.
Doch die Feder stürzt
wie Blei in den Abgrund.

Auf einmal läßt die Vorstellung
von Leere, ohne Bewegung,
von Nichts, vom Fehlen
eines Zeichens, einer Spur,
das Blut gerinnen und
Hände und Stimme zittern.
Am äußersten, nun
nicht mehr fernen Punkt:
an der Mündung des Flusses,
einen Schritt, eine Handbreit
von der Grenze, wer
oder was... bewahrt mich
vor dem Sprung, der Verdammung.

„So stiegst du aus der Höhe
zu einem Kompromiß hinab.“
„Mit dem Traum
des vollkommenen Einklangs.“

Doch fügen sie sich gleichzeitig
in das Offensichtliche:
dahinsegelnd
driften sie ab.

 

 

 


 
 

  Paolo Ruffilli Mail: ruffillipoetry@gmail.com